5 unterbewertete Songs der Beatles
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Als jemand, der mit der Musik der Beatles aufgewachsen ist und ihre Songs in- und auswendig kennt, fällt es mir gar nicht so leicht einzuschätzen, welche Songs überhaupt als unterbewertet bezeichnet werden können. Zum Beispiel hatte ich erst überlegt, Dear Prudence in meine Liste mit aufzunehmen. Aber auch, wenn der Song vergleichsweise selten im Radio zu hören ist, gehört er unter Fans definitiv zu einem absoluten Favoriten. Daher hab ich versucht, wirklich nur die Songs aufzulisten, die ich weder auf Reddit oder in Podcasts, noch weit oben in irgendwelchen Bestenlisten erwähnt gesehen habe.
If I Fell (A Hard Day’s Night, 1964)
Wenn man diese Ballade in ihre Bestandteile zerlegt, gibt es eigentlich nicht viel zu bereden. John spielt einen recht simplen Rhythmus an seiner Gitarre, Ringo einen geradlinigen Beat. Dafür hat der Song eine der absolut besten Gesangsharmonien in ihrer gesamten Diskografie, und das soll was heißen. John übernimmt entsprechend seines Registers die tiefen Töne und steht im Kontrast zu Paul, der stellenweise seine höchstmögliche Stimmlage ausreizt. Im Laufe des Songs harmonieren ihre Gesänge ebenso häufig miteinander, wie dass sie in totalem Widerspruch zueinanderstehen und es funktioniert einfach hervorragend. Mit komplexen Harmoniegeflechten wie diesem haben die Beatles den Standard geschaffen, an dem sich bis heute orientiert wird. John nannte diesen Song seinen ersten Versuch einer Ballade. Und was für eine es geworden ist!
I’m A Loser (Beatles for Sale, 1964)
Beatles for Sale gilt als das schwächste Album der Beatles. Aber selbst, wenn die Highlights hervorgehoben werden, findet dieser Song selten die Anerkennung, die er verdient. Im Gegensatz zu den früheren, oft klischeebeladenen Liebesliedern schrieb John hier einen seiner bis dahin persönlichsten Texte. Den Einfluss, den die Folk-Bewegung und insbesondere Dylan zu dieser Zeit auf ihre Songs gehabt haben müssen, spürt man hier, wie in kaum einem anderen. Der Fokus wird vermehrt auf die Akustikgitarre gelegt, die Mundharmonika wird zu einem wesentlichen Bestandteil der Musik und man könnte sogar meinen, John singt mit einer betont nasalen Stimme. Instrumente und Harmonien klingen absolut hervorragend und der gesamte Song hat einen total mitreißenden Drive. Ein toller Song, der einen Wendepunkt für John als Songschreiber darstellt.
And Your Bird Can Sing (Revolver, 1966)
Ein auf den ersten Blick relativ geradliniger Popsong — besonders, wenn man ihn mit den besonders psychedelischen Songs auf dem Album vergleicht. Aber And Your Bird Can Sing steht nicht nur auf meiner Liste der unterbewerteten Songs ganz oben. Falls es einen Song gibt, auf dem die Gitarren besser klingen als hier — ich würde ihn gern hören, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Ich habe mal gelesen, worum es im Text geht, aber es ist mir eigentlich relativ egal. Der Song dauert gerade so zwei Minuten, aber er ist voller Feinheiten und großartiger Performances. Der Gesang und die Harmonien, die Percussion und besonders der melodische Bass — ich könnte mir ihn ein Dutzend Mal anhören und mich jedes Mal auf etwas Neues konzentrieren, ohne, dass es langweilig werden würde.
Within You Without You (Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, 1967)
In Podcasts, Videos auf YouTube, auf Reddit und in zahlreichen Bestenlisten wird dieser Song als Füller bezeichnet und ich verstehe einfach nicht, warum. Ob der Song gut aufs Album passt, darüber lässt sich streiten. Die Band hat ihn nicht umsonst an letzter Stelle der ersten Seite platziert, aber als eigenständiges Werk ist er einfach großartig. George besingt den Kreislauf des Lebens. Dass es mehr gibt, als nur das Selbst und dass wir alle miteinander verbunden sind. Within You Without You ist der wahrscheinlich spirituellste Songs in ihrer gesamten Diskografie und der Text geht hervorragend mit der Musik einher. Das gesamte Arrangement ist einfach wundervoll anzuhören. Wer hätte gedacht, dass die Sitar und Streicher so gut zusammen klingen könnten? Besonders, wenn die Instrumente ab der zweiten Hälfte immer ausufernder gespielt werden, versetzt mich der Song jedes Mal in einen Trance-ähnlichen Zustand.
I’ve Got a Feeling (Let It Be, 1970)
Dieser Song ist unter Fans definitiv nicht unbeliebt, aber nachdem ich ihn zwei Gelegenheitshörern vorgespielt habe und beide ihn nicht erkannt hatten, konnte ich ihn nicht unerwähnt lassen. Besonders in den späteren Jahren schusterten die Beatles manchmal Songs aus Fragmenten zusammen, die nicht fertiggestellt wurden. A Day In The Life ist ein gutes Beispiel dafür, I’ve Got A Feeling ein weiteres. Besonders der Bass in Verbindung mit dem Keyboard erzeugt einen so coolen, bluesigen Groove. Gleichzeitig steckt eine solche Energie in den Gitarren und die beiden Stimmungen ergänzen sich einfach großartig. Der Song ist auch weiteres Beispiel dafür, dass Paul einer der großartigsten Rock’n’Roll-Sänger überhaupt ist. Spätestens, sobald er aus vollem Halse den Titel des Songs ins Mikrofon schreit, löst es jedes Mal einen solchen Hype in mir aus. Ein richtiger Gute-Laune-Song. Wer Disney+ hat, kann sich in der Get Back-Dokumentation anschauen, wie der Song auf dem Dach des Studios aufgenommen wurde. Mit Bild klingt er sogar noch besser.
Honorary mentions: There’s A Place; Things We Said Today; If I Needed Someone; I Will; The Ballad of John and Yoko